Seit 2018 biete ich Sitzungen für Frauen und Paare an, die kurz nach der Geburt des Kindes oder schon in der Schwangerschaft erfahren haben, daß ihr Kind eine Trisomie 21 (Down-Syndrom) hat. Anna-Lena Wenzel hat dazu ein Interview mit mir geführt.
Int: Was ist das für ein neues Angebot, das du machst?
JB: Meistens arbeite ich mit Menschen, die sich einer Herausforderung stellen müssen. Das kann eine körperliche sein, z.B. chronische Schmerzen oder eine emotionale, z.B. ein Unwohlsein, Ungewissheit oder Trauer.
Mein neues Angebot ist spezifischer: der Umgang mit Diagnosen – insbesondere Trisomie 21 – kurz nach der Geburt, oder auch schon während der Schwangerschaft.
Das enge Zusammenspiel von Körper und Geist wird oft übersehen, ist aber in solchen Situationen von besonderer Bedeutung. Sorgen und Ängste können in meinen Sitzungen besprochen und gleichzeitig im Körper bearbeitet werden. Dadurch entsteht eine bessere Verbindung sowohl zu sich selbst als auch zum Kind.
Int: Kannst Du das veranschaulichen?
JB: Oft gehen Sorgen und Ängste mit Spannungen im Körper einher – einige knirschen mit den Zähnen oder haben Kopfschmerzen, andere merken in Rücken, Schultern, Nacken dass da irgendwas festhält. Wenn ich in so einer Spannung feststecke, kann ich nicht mehr gut wahrnehmen, was ich fühle. Das hält ab, mit dem Kind in Kontakt zu kommen – mit dem ungeborenen oder geborenen Kind. So ging es mir – ich hatte so viel Anspannung während der Pränataldiagnostik, dass ich eine zeitlang den Bezug zu meinem Kind verloren habe.
Während der Schwangerschaft lastet viel Druck auf den Paaren – Entscheidungen, was getestet werden soll, Unsicherheit darüber, was tun, wenn ein Test eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, z.B. für ein Down-Syndrom, ergibt. Dieser Druck löst Ängste und Sorgen aus, und das Gefühl für die eigene Kraft und Intuition und auch für das Kind kann verloren gehen.
Int: Inwieweit knüpft das Angebot an deine bisherige Körperarbeitspraxis an?
JB: Ich arbeite mit dem Pantarei Approach und der Grinberg Methode. Die Zusammenarbeit beginnt mit einem Gespräch, während gleichzeitig im Körper nachgespürt wird, wo sich die Dinge, die einen beschäftigen, verorten lassen. Wo spanne ich an? Was mache ich eng? Wo bin ich beunruhigt und habe eine Spannung? Und auch: Wie finde ich wieder Zugang zu meinem Körperwissen, meinen Stärken, meiner Intuition?
Insofern ist es eine Erweiterung meiner bisherigen Praxis: Ich lasse meine Erfahrungen als Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom und als Schwester eines Bruders mit Down-Syndrom mit einfließen.
Int: Was war der Antrieb für dich, ein solches Angebot zu entwickeln?
JB: Als ich nach der Geburt meines Sohnes erfahren habe, dass er eine Trisomie 21 hat, war ich gleichzeitig total verliebt in ihn und hatte auf einmal so viele Gedanken und Sorgen – und das obwohl mir das Leben mit Menschen mit Down-Syndrom nicht fremd war. Ich habe mich trotzdem gefragt: Wird er Freunde haben? Wie ist das mit seinen Zukunftschancen? Was wird sein, wenn wir Eltern nicht mehr da sind?
Ich hatte eine Psychologin, zu der ich gegangen bin, um mit ihr über meine Sorgen zu sprechen. Parallel dazu hatte ich Sitzungen von meinen Kolleginnen aus der Körperarbeit.
Beim zweiten Kind war ich bei der Frage, ob wir z.B. einen Pränatest machen wollen oder nicht, sehr angespannt. In dieser Situation hätte ich mir gewünscht, mich noch stärker mit dem ungeborenen Kind zu verbinden und die Anspannung und die Sorgen loszulassen. Eine Möglichkeit zum Gespräch in Kombination mit Körperarbeit hätte mir gut getan. Diese möchte ich anderen Frauen und Paaren jetzt anbieten.
Int: Du hast schon früh mitbekommen, was es für eine Familie bedeutet in ihrer Mitte ein Kind mit Down-Syndrom zu haben…
JB: Ja, ich bin mit einem Bruder mit Down-Syndrom aufgewachsen. Als ich noch ein Kind war, hatten wir oft die Lebenshilfe-Selbsthilfegruppe meiner Eltern bei uns zu Hause, weil wir ein großes Wohnzimmer hatten. Es war ein Gefühl von großer Verbundenheit da.
Aber unabhängig davon, ob man ein Kind mit oder ohne extra Chromosom bekommt – man weiß nie, was passieren wird. Es kommt sehr viel Unbekanntes, Unkontrollierbares auf einen zu, wenn man ein Kind bekommt, auf einmal gibt es eine große Verletzlichkeit.
Int: Es geht darum, einen Umgang mit den Sorgen zu finden…
JB: Ja, die Sorgen sind da, aber man kann die Aufmerksamkeit dafür stärken, was jetzt ist, was meine Kraft ist und was für eine Kraft im neuen Leben steckt. Das hilft, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen und sie als handhabbarer zu empfinden.
Int: Neben deiner persönlichen Geschichte – was bringst du noch für Erfahrungen in deine Körperarbeit mit ein?
JB: Da kommen verschiedene Erfahrungen, Methoden und Kompetenzen zusammen. Ich bin Ergotherapeutin und habe eine Ausbildung in der Grinberg-Methode und im Pantarei Approach gemacht. Außerdem habe ich Kunst studiert und bin seit mehreren Jahren Teil der Feministischen Gesundheitsrecherchegruppe Berlin. Das Wissen aus unserer Recherche zur Gesundheitsbewegung der 1970er und 80er Jahre bringe ich in meine Praxis mit ein. Außerdem Erfahrungen zum Thema Selbstermächtigende Praxen und Übungen zum Zuhören und Räume öffnen, Sorge für sich und andere tragen. Ich habe zudem Coachingmethoden und Gesprächstechniken erlernt, die ebenfalls mit einfließen.
Int: Wo finden die Sitzungen statt?
JB: Im Körperraum Mitte, das ist eine Praxis in Berlin für die Arbeit mit dem Körper und Geist, die ich 2014 mit zwei Kolleginnen gegründet habe.
Int: Richtet sich das Angebot an Einzelpersonen oder auch an Paare?
JB: Beides. Es ist ganz individuell. Auch für Paare ist es hilfreich, sich Zeit zu nehmen, sich füreinander zu sensibilisieren und zu lernen, wie man sich gegenseitig unterstützen kann.
Int: Kann man auch sein Kind mitbringen?
JB: Auf jeden Fall! Kinder sind willkommen.
Das Interview führte Anna-Lena Wenzel. www.alwenzel.de